12. 05. 2013
Jesus betet, inständig, intensiv, leidenschaftlich. Er hat ein Anliegen, das tief in seinem Herzen brennt und das er Gott anvertraut. Es geht um seine Anhänger, um seinen Freundeskreis und um alle, die in Zukunft durch sie zu ihm finden werden, also Christen werden. Es ist sein tiefster Herzenswunsch, dass sie alle in Einheit und Verbundenheit miteinander leben, dass sie eine (christliche) Gemeinschaft bilden.
Aber Jesus meint damit mehr als nur eine oberflächliche, lose Verbundenheit miteinander. Er gründet keine Organisation, mit vielen Strukturen, Gruppierungen und Ausschüssen! Es geht ihm um eine innere, geistige Verbundenheit. Eine wahre christliche Gemeinschaft entsteht nicht auf Basis von gegenseitigen Sympathien, Freundschaften und Interessen. Diese können mithelfen, sind aber nicht der letzte Grund des Zusammenhaltens und der Verbundenheit.
Christliche Gemeinschaft entsteht und wächst dort, wo sie aus Menschen besteht, die in sich eine Sehnsucht nach Gott spüren. Die Frage nach Gott beschäftigt uns immer neu, in glücklichen Augenblicken, bei einschneidenden Ereignissen in unserem Leben, in der Erfahrung von Leid und Schmerz und ganz intensiv angesichts des Todes. Die Gottesfrage lässt uns ein Leben lang nicht los. Wer ist Gott wirklich? Wir suchen ihn. Wir suchen Verbindung mit, Beziehung zu ihm.
Je mehr die Frage nach Gott uns beschäftigt, desto mehr werden wir Zugang zu Jesus finden, zum Geheimnis seiner Person. Wer zu Jesus gelangt, findet auch Antwort auf seine tiefsten Fragen nach Gott. Es ist ja gerade seine Gottesbeziehung, seine Einheit mit Gott, die für Jesus sein Glück und Lebenskraft ausmachen. Er weiß wer Gott wirklich ist, weil er ihn kennt wie keiner sonst, weil er in einer einzigartigen Beziehung zu ihm ist. Und Jesus wünscht sich nun eine Einheit unter uns, die ihr Modell hat in seinem Eins-Sein mit Gott. Er bittet: „...damit alle eins sind, wie du, Vater, in mir und ich in dir, damit auch sie in uns sind... damit sie eins sind, wie wir eins (sind)“.
Es ist unser Glaube an Gott und an Jesus – ein Glaube aber, verstanden als ein Leben-in-Beziehung zu Gott und zu Jesus – der es erst möglich macht, dass wir als christliche Gemeinschaft, in Einheit und Verbundenheit miteinander, leben können. Diese innere, geistige Verbundenheit mit Gott und mit Jesus ist Fundament und Voraussetzung für wahre christliche Gemeinschaft. Sonst baut man nur auf Sand.
Eine schöne Anekdote umschreibt das so: Die Mönche eines Klosters fragten einmal ihren Abt, wie sie trotz verschiedener Herkunft, Anlagen und Neigungen eine Gemeinschaft bilden könnten. Der Abt antwortete: „Stellt euch ein Rad vor; es besteht aus einer Felge, aus Nabe und Speichen. Zwei gegenüberliegende Punkte auf der Felge können zusammenkommen, wenn sie sich über die Speichen auf die Nabe zubewegen. Je mehr wir alle auf Jesus Christus, der die Mitte ist, zugehen, umso mehr nähern wir uns einander. Wir werden eine wirkliche Gemeinschaft.“ Die Einheit einer christlichen Gemeinschaft kann nur in der Gott- und Christusverbundenheit ihrer Mitglieder begründet und lebbar sein.
Und Jesus macht noch einen Schritt weiter: „So wie wir, Vater, so sollen auch sie in uns eins sein, damit die Welt glaubt, dass du mich gesandt hast.“ Diese Einheit und Verbundenheit der Glaubenden soll für die Welt ein Motiv des Glaubens an Jesus als den Gesandten des Vaters sein. Eindringlicher kann unsere Verantwortung für die Welt kaum ausgedrückt werden. Wenn »die Welt« nicht glaubt, muss die Schuld nicht allein bei ihr liegen. Es kann auch an unserer Uneinigkeit, Distanziertheit und Entfremdung einander gegenüber liegen!
Jesus betet für uns, dass wir in Verbundenheit miteinander leben, was aber nur möglich ist, wenn unsere Verbundenheit mit ihm und mit Gott lebendig ist. Wenn andere Menschen das spüren, werden sie auch zu Gott und zu Jesus finden.